Leseprobe 3

Christine Ilić

Freie Redakteurin und Autorin

Christine Ilić

One more time, guys!

Deluxe Magazin Januar 2020

Noch ein Vorhang. Noch einer. Beifall, Verbeugungen, Lichtkegel. Premiere eines besonderen Tanzabends am Mecklenburgischen Staatstheater. Vor diesem Moment aber steht Arbeit, harte Arbeit. Wir haben hinter die Kulissen geschaut.

Rückblende, sechs Wochen zuvor: Ballettprobe. Frida und Carmen stehen auf dem Programm. Der Proberaum unter dem Dach ist fest in der Hand junger Menschen. Rund um die Tanzfläche werden Körper gedehnt und Liegestütze absolviert. Die eine sitzt im Spagat, der andere macht ein paar Klimmzüge.

Jutta Ebnother, Ballettdirektorin und Frida-Choreografin, zieht Vorhänge vor die Spiegelwand. „Die Tänzer sollen sich ganz spüren dürfen, in sich hineinhören und daraus ihre Bewegungen entwickeln.“ Aufstellung. Zwischen den grazilen Körpern erscheint eine Frau in einem spanisch-volkstümlichen Rock, der ihr bis zu den Füßen reicht. Itziar Lesaka, Sängerin. Ein junger Mann greift zur Gitarre. Ballettmeister Paul Zeplichal nickt ihm zu, ok, es geht los. Die ersten Töne erklingen.

Itziars Gesicht nimmt einen verzweifelten Ausdruck an, ihre Stimme, kraftvoll klagend, füllt den Raum, geht unter die Haut, bleibt dort hängen. Ein Tänzer umspielt
sie. Ausladende Gesten, so präsent wie zurückhaltend. Frida Kahlo vor ihrem Tod. Das Leben der mexikanischen Malerin war geprägt von Verlusten, Krankheit und Enttäuschungen. Aber auch von unbändigem Lebenswillen, Liebe und kreativer Schaffenskraft. „Die Person der Frida ist vielschichtig“, so Jutta Ebnother. „Deshalb stellen wir sie mit vier Tänzerinnen dar. Jede verkörpert einen Teil der Frida. Dass Itziar uns mit fünf Gesangsstücken unterstützt, ist fantastisch. Die Zusammenarbeit über Sparten hinweg macht Spaß, muss aber gut koordiniert werden.“ Gut, oder vielmehr exzellent, koordiniert sind auch die Bewegungen in den nächsten Szenen. „Die Fridas“ proben den Unfall, der die Malerin immer wieder ans Bett fesselte. Körper zucken in Schmerz und Verzweiflung. „Gut gemacht, bis hierher erst einmal“, ruft Ebnother. Die Tänzer kommen zusammen, sitzen in einem Kreis mit der Choreografin. „Denkt an Fridas Bilder“, beschwört sie die Künstler. „Denkt an ihren Blick. Nach innen und in die Ferne. Gleichzeitig.“ Sie tanzt vor, beantwortet Fragen, hört zu, wenn eigene Ideen kommen.

"Ein junger Mann greift zur Gitarre. Ballettmeister Paul Zeplichal nickt ihm zu, ok, es geht los. Die ersten Töne erklingen. "

„One more time, guys“, sagt sie schließlich und klatscht in
die Hände. 

Arbeitssprache ist Englisch. Bei neun Nationen bietet sich das an. Nach anderthalb Stunden ist Pause. Dann wird Carmen geprobt. Elena Lucas, Tänzerin, coacht gemeinsam mit Paul Zeplichal ihre Kolleginnen über die Fläche. Im Januar war Ching Wong für vier Wochen in Schwerin. Wong ist die Assistentin des in den USA bereits gefeierten Carmen-Choreografen Ihsan Rustem. Sie blieb, bis die Szenen grundlegend einstudiert waren; die fortlaufenden Proben stehen unter Schweriner Führung.

Bevor die Stücke zur Premiere kommen, wird ca. drei Monate geprobt. 12 Bühnenproben, davon vier mit dem Orchester, der Rest im Proberaum. Parallel studieren die Beleuchter den Ablauf, erarbeiten Lichteffekte. Dann folgt eine erste Komplettprobe in den Kostümen, mit Beleuchtung. Das Orchester probt separat, bevor alle zusammenkommen. Die Anspannung bleibt bis zur Premiere, immer. „Daran ändern auch viele Jahre Bühnenerfahrung nichts“, gesteht die 48-jährige Ebnother. Sie ist da, wenn ihre Tänzer auf der Bühne stehen. Bei jeder Vorstellung, fiebert mit, leidet mit, jubelt mit. Bis es soweit ist, bleibt sie kritisch, ermuntert, erklärt. Und immer wieder heißt es: „One more time, guys“.

DELUXE MAGAZIN JANUAR 2020​

Christine Portrait_Madeline Cords Illustration 2022

Christine Ilić

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